Alessandro «Alex» Zanardi

zu Besuch bei App-Tech

Datum: 17. April 2018
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Ende Februar besuchte der ehemalige Formel-1-Fahrer Alex Zanardi (51) unser italienisches Schmiederäder-Unternehmen App-Tech. Nach einem schweren Unfall startete er eine erfolgreiche Karriere als Handbiker und gründete einen eigenen Verein, der behinderten Kindern hilft. Mit diesem unglaublichen Mann haben wir gesprochen.

Nach einer Führung durch das Unternehmen unterhielt sich Alex über zwei Stunden mit dem jungen und motivierten Team von App-Tech. Seine Botschaft war: Seid immer neugierig! Wir sollten stets mit offenen Augen durch das Leben gehen und unser Wissen erweitern. Und: Das Leben ist voller Überraschungen. Manchmal sind sie schön, manchmal sehr traurig, aber wir können uns im Vergleich zu vielen anderen Menschen sehr glücklich schätzen. Wenn du hinfällst, steh auf und geh weiter. Dann wirst du dich stärker fühlen als zuvor.

Alex, wann hast Du Deine Karriere als Rennfahrer in der Formel 1 begonnen? Was war daran besonders faszinierend für Dich? Was bedeutete Dir der Rennsport?

Die Veranlagung für den Rennsport machte sich schon bemerkbar, als ich noch ein Kind war. Ich denke, man wird mit dieser Leidenschaft geboren. Man hat sie oder man hat sie nicht. Ich ging dieser Leidenschaft zunächst mit dem Motorrad nach – ohne Wissen meiner Eltern, die es mir nicht erlaubt hätten, weil es gefährlich ist. Doch als mein Vater einsah, dass es mir ernst mit dem Rennsport war, kaufte er mir mein erstes Kart, obwohl wir nicht viel Geld hatten. Die weitere Entwicklung war dann eine natürliche Konsequenz der zahlreichen Erfolge, die ich über die Jahre auf den Rennstrecken errungen habe.

Wir alle wissen, dass Du einen schrecklichen Unfall hattest, bei dem Du beide Beine verloren hast. Trotzdem bist Du später weitere Rennen gefahren und hast außerdem mit dem Handbiking begonnen. Was hat Dich dazu motiviert, weiterzumachen und nicht aufzugeben? Gab es Momente, in denen Du gezweifelt hast? Wie bist Du damit umgegangen?

Das Leben ist ein Geschenk und manchmal gerät man in schwierige Situationen, in denen man kämpfen muss und sich nicht unterkriegen lassen darf. Für manche Menschen ist das schwierig. Andere hingegen, wie ich selbst, sind vielleicht mit dieser positiven Einstellung auf die Welt gekommen und finden es etwas «einfacher», sich dem zu stellen. Ich sage etwas, denn auch ich habe traurige Phasen durchgemacht. Aber die Familie und gute Menschen um sich zu haben, ist in diesen Momenten die beste Unterstützung und das beste Heilmittel für den Körper, die Seele und das Herz. Ich hatte Glück, denn ich bekam diese Unterstützung die ganze Zeit über. Das hat mir sehr geholfen.

Erzähl uns bitte mehr über Deine erfolgreiche Handbiker-Karriere. Wie kam es dazu, dass Du zu dieser Sportart gewechselt bist und an verschiedenen Paralympics teilgenommen hast? Was sind Deine nächsten Ziele? Wie lange wirst Du diesen Sport vermutlich noch betreiben?

Nach dem Unfall waren die Fragen, die mich beschäftigten: «Wie werde ich dies oder jenes tun? Wie kann ich wieder meinen früheren Aktivitäten nachgehen?» Das Training mit einem tollen Freund (meinem Arzt) war eine große Herausforderung. Es verlieh mir neue Energie und eine positivere Einstellung, denn ich verstand, dass ich auch ohne Beine noch die meisten Dinge tun konnte, die ich vorher getan hatte. Das Handbike ist wahrscheinlich die natürliche Weiterentwicklung meiner Leidenschaft für Motorräder, die ich hatte, als ich jünger war.

Die beiden Ironman-Wettkämpfe und dann die Goldmedaillen in London und Barcelona waren eine Herausforderung in meinem Leben. Mit diesem Ergebnis hatte ich nicht gerechnet, aber diese Siege waren so unglaublich und so mitreissend, dass ich mich noch immer fühle, als könnte ich Berge erklimmen, wenn ich daran zurückdenke.

Der nächste Schritt werden die Paralympics 2020 in Tokio sein. Wenn mein Alter und mein Körper es mir erlauben, werde ich es dort auf jeden Fall noch mal versuchen. Vorher werde ich das 24h-Rennen von Daytona mit meinem BMW-Team bestreiten. Das 24 Stunden dauernde Rennen wird wahrscheinlich anstrengender als der Ironman, aber die Verlockung, wieder mal Ölgeruch in der Nase zu haben, war einfach zu groß. So lange mein Körper mitmacht, höre ich nicht auf.

Du hast auch einen Verein mit dem Namen «Bimbingamba» gegründet, der Prothesen für Kinder herstellt, die Amputationen erlitten und keinen Zugang zu geeigneter Gesundheitsversorgung haben. Wann und warum hast Du diese Organisation gegründet?

Nach dem schweren Unfall in Deutschland kam ich nach Italien zurück und sah bei einem Krankenhausbesuch für die erste Beinprothese einen Mann weinen. Er erzählte mir, dass er mit seiner 4-jährigen Tochter dort war, die ohne Beine geboren wurde. Ich dachte, dass er deshalb weinte. Aber nein. An diesem Tag passten die Ärzte die ersten Beinprothesen des Mädchens an. Zum ersten Mal seit ihrer Geburt würde seine Tochter Beine haben und er hatte nicht an Schuhe gedacht! Der Mann rannte aus dem Krankenhaus, um welche zu kaufen, und sagte, dass er noch nie so glücklich gewesen sei wie in dem Moment, als er die allerersten Schuhe für seine kleine Tochter kaufte. Er sagte zu mir, dass ich positiv denken solle, denn das Leben halte immer etwas Positives für uns bereit, auch wenn wir glauben, alles sei verloren.

Wann immer ich an diesen Moment denke, bin ich so froh, dass ich all diese Dinge tun und das Leben so intensiv leben kann.

Und darum geht es bei «Bimbingamba»: Wir helfen Kindern aus armen Ländern, z. B. in Osteuropa oder Afrika, in Kriegsgebieten, aber auch in den USA, wo man nichts bekommt, wenn man keine Krankenversicherung hat. Diese Kinder haben eine oder mehrere Gliedmaßen infolge von Unfällen, Krankheit oder in Kriegsgebieten bei Verletzungen durch Bomben oder Feuerwaffen verloren. Sie sollten eine zweite Chance bekommen, denn sie verdienen sie. Daher habe ich «Bimbingamba» gegründet.

Hast Du eine besondere «Lebensanschauung» oder etwas, das Dir immer hilft, weiterzumachen?

Dieses große Geschenk, welches das Leben ist, intensiv zu leben, ist das Beste, was man tun kann. Wir sollten niemals Werte wie Ehrlichkeit, Leidenschaft, Wertschätzung für andere, Liebe für die Menschen um uns herum aus den Augen verlieren und immer daran denken, dass Arroganz und Überlegenheitsgefühl dazu führt, dass wir hinter allem und jedem allein zurückbleiben.

Würdest Du etwas in Deinem Leben ändern, wenn Du es könntest?

Ich habe bis heute so viel von diesem Leben bekommen, dass ich einfach nur nach vorne blicke. Es gibt nicht wirklich etwas, das ich ändern würde. Ich bin in vielerlei Hinsicht gesegnet, und das Beste, was man tun kann, ist, weiterzumachen, nach vorne zu schauen, neugierig zu bleiben und niemals die Dinge aufzugeben, die man liebt.